Im Internet kursieren ja viele Erfahrungsberichte, die das Referendariat als sehr anstrengende, physisch und psychisch belastende Sklavenzeit beschreiben, durch die man durch muss, bevor man dann als fertiger Lehrer frei ist, wie Dobby mit der Socke. Auch unter Didaktikern an der Uni hört man entsprechende Geschichten, in denen man ständig mit Seminarlehrern im Klinsch liegt, weil man ja der Besserwisser aus dem Elfenbeinturm der Uni ist. Und trotzdem habe ich mich vor etwa zwei Jahren entschieden nach der Promotion in der Physik (Schwerpunkt Fachdidaktik) ins Ref zu gehen: Ich wollte auch dieses Weg zu Ende gehen und Praxiserfahrung sammeln.
Jetzt, am Ende des Referendariats, aber bevor eine rückblickende Verklärung einsetzt, ist der Zeitpunkt gekommen, meine Erfahrungen zu berichten, um auch mal ein positiveres Bild des Referendariats zu verbreiten. Der Beginn war natürlich eine Umstellung. Von freien und flexiblen Arbeitszeiten an der Uni in ein enges Korsett aus allgemeinen Sitzungen, Fachsitzungen und zunächst Hörstunden an der Seminarschule. Auch an einige formale Abläufe wie das Schreiben der Protokolle musste ich mich erst einmal gewöhnen. Und dazu digital zunächst ein Rückschritt: Kein WLAN und keine Tablets für Schüler. Aber zumindest überall Beamer und Dokumentenkamera, in den Physikräumen auch drahtlos nutzbar. Besonders spannend für mich: Die ersten Begegnungen und Gespräche mit dem Seminarlehrer in Physik. Es lief alles sehr entspannt und geprägt von gegenseitiger Wertschätzung, auch wenn das Setting der Bewertung allen klar ist. Eine der ersten Aussagen, die mir sehr positiv in Erinnerung geblieben ist, lautete sinngemäß: Ich möchte nicht, dass sie so unterrichten wie ich. Ich möchte, dass sie die zu ihnen passende Art des Unterrichts finden, weiterentwickeln und verbessern. Und dieser Satz passte zu uns vier doch sehr unterschiedlichen Physikreferendaren sehr gut und hat auch tatsächlich durchs ganze Referendariat getragen. Es war keine leere Phrase.

Ebenso hallen die Worte des Seminarvorstandes nach: „Es geht in der Schule nicht darum Stoff abzuarbeiten.“ Es ist gut, sich auch dies immer mal wieder vor Augen zu halten.
In den Fachpraktika haben wir gemeinsam mit dem Seminarlehrer viele verschiedene Experimente aufgebaut und mögliche Unterrichtsgänge dazu besprochen und diskutiert. Dabei habe auch ich noch sehr viele kleine Tricks gelernt und wurde sensibilisiert für den Schülerblick. Aber es war zu keiner Zeit ein Problem einen anderen Vorschlag zu machen, eine eigene Idee, ein eigenes Experiment einzuwerfen und zu zeigen. Auch was bspw. den Einsatz von Sensoren oder dem Smartphone in Physik angeht, wurde viel ausprobiert. Wir haben alle miteinander und voneinander gelernt, trotz Bewertungssituation.
Gleiches gilt auch für die eher theoretisch orientierten Fachsitzungen. Ich vermute mal, dass sowohl mein Seminarlehrer als auch ich zu Beginn mit einem etwas komischen Gefühl in diese gestartet sind, besonders dann, wenn das Thema ein typisch didaktisches war und evtl. mein Lehrstuhl oder Vorgänger am Lehrstuhl in diesem Bereich auch gearbeitet haben. Ich empfand die Arbeit in den Themen trotzdem immer gewinnbringend, ich habe vom Input des Seminarlehrers profitiert, viel mitgenommen und vielleicht an der ein oder anderen Stelle auch noch einen weiteren Blickwinkel beitragen können. In jedem Fall konnten wir immer alle frei und offen diskutieren – wichtig waren dabei eher gute Begründungen als richtige Antworten, denn mit richtigen Antworten ist das in der Didaktik ja so eine Sache.
Natürlich gab es auch arbeitsreiche und stressige Zeiten, insbesondere dann, wenn Lehrpoben anstanden oder Schulaufgaben entwickelt oder korrigiert werden mussten. Dann ist man schon mal von morgens 7 bis abends 22 Uhr fast nur am werkeln für die Schule. Aber ich denke jeder Job hat stressigere und entspanntere Phasen, so auch das Referendariat. Hierbei habe ich aber sicher davon profitiert, dass mein Seminar super war und wir alle gemeinsam miteinander super gearbeitet haben. Jeder hat jedem wo nötig geholfen, man konnte sich immer Feedback oder Ideen holen und hat sich so gegenseitig entlastet. Doch auch die Seminarlehrer haben in solchen Phasen hoher Belastung unterstützt, indem z.B. Fristen für Protokolle verlängert wurden. Kein großer Akt, aber super hilfreich.
Ein wesentlicher Bestandteil des Refs sind natürlich auch Unterrichtsbesuche und die anschließenden Stundenbesprechungen. Auch hier kann ich nicht von sinnfreier Generalkritik oder von Referendariatsbashing nach dem Motto „Das hätten sie aber nicht so machen dürfen, sondern so ist die einzig richtige Art das zu unterrichten“ berichten. Natürlich gab es Kritik, schließlich habe ich auch mal schrottige Stunden gehalten, aber die Art und Weise des Feedbacks war immer konstruktiv, es wurden immer Alternativen durchdiskutiert und Hinweise zur Verbesserung gegeben. Und wenn man mit einer Kritik oder einem Feedback nicht einverstanden ist, dann muss man das ja auch nicht annehmen – sicher auch eine Erkenntnis, die man aus dem Ref mitnehmen (oder eigentlich schon vorher haben) sollte. Als wertschätzend habe ich es auch empfunden, dass einem das exakte Thema für die Lehrprobe nicht einfach so zugeteilt wurde, sondern die Seminarlehrer sich schon kurz vorher nochmal exakt informiert haben, wo man denn gerade im Stoff ist und was weiter geplant ist. So haben sich die halbwegs in den Unterrichtsverlauf eingepasst und waren keine völligen Fremdkörper im Unterrichtsablauf. Über Art, Umfang und Bewertung bzw. Nichtbewertung des Entwurfs kann man sicher diskutieren, aber das macht ja sowieso jedes Bundesland anders und damit muss man sich einfach abfinden. Trotzdem sind Lehrproben natürlich anstrengend und belastend, die drei Wochen davor, die man zur Vorbereitung hat, sind stressig und vollgepackt und man ist froh wenn alles rum ist – da gibt es nichts schönzureden.
In beiden Einsatzhalbjahren, die ich an zwei unterschiedlichen Schulen war, habe ich jeweils 17 Stunden – das zulässige Maximum – unterrichtet. Ja, auch das war phasenweise echt anstrengend, aber ich habe immer davon profitiert, dass ich zumindest etwas parallel hatte. Hier sollte aus meiner Sicht auch im Alltag noch viel mehr darauf geachtet werden – das entlastet gefühlt, sorgt aber auch für bessere Stunden, weil man direkt Dinge adaptieren und verändern kann, wenn mal eine Stunde in einer Klasse nicht so lief. Insgesamt war die Zeit in Ordnung, allerdings ist der Ausbildungscharakter hier nur sehr schwach ausgeprägt. Hat jedoch den Vorteil, dass man einfach unbeobachtet und locker Dinge ausprobieren kann, sich auch mal nicht zu viel Stress aufladen muss und sich „frei“ schwimmen kann. Hier fühlt man sich auch zum ersten Mal wirklich als Lehrer, als Teil eines Kollegiums. Das ist ein Gefühl, was ich sehr zu schätzen gelernt habe. Das Kollegium hat großen Einfluss auf den Spaß am Lernen und den Spaß in der Schule.
In den letzten Seminarsitzungen vor dem Einsatzjahr wurde uns Refis übrigens sehr deutlich zu verstehen gegeben, dass wir uns, wenn irgendwelche Probleme auftreten, jederzeit gerne und unkompliziert, auch ohne irgendwie Einfluss auf Bewertung an die Seminarlehrer oder den Seminarvorstand wenden können. Das empfand ich ebenfalls als sehr positiv und wertschätzend uns Refis gegenüber. Wir sind also nicht einfach nur irgendwie Leute, die bewertet werden müssen, sondern man kümmert sich auch um uns und unterstützt uns wenn nötig.
In der Corona-Phase mussten sich alle kurz orientieren, Lehrer, Referendare und Schüler. Aber sehr bald wurde das produktive Arbeiten wieder aufgenommen – auch dank vergleichsweise brauchbarer technischer Basis mit Mebis und MS Teams. Hier wurde dann in Videokonferenzen gemeinsam diskutiert und probiert, wie der Distanzunterricht möglichst gut funktioniert. Es war spannend, wir waren alle am Limit und haben uns trotzdem gegenseitig unterstützt so gut es möglich war. Über die komische, vielleicht etwas mutlose dritten Lehrprobe habe ich hier schon berichtet.
Zusammenfassend: Ich habe ein gutes Referendariat erlebt, in dem ich viel Feedback erhalten und neue Blickwinkel kennengelernt habe und in dem ich jederzeit fair beurteilt und bewertet wurde. Dabei gab es bessere und weniger gute Phasen, echt anstrengende Wochen und entspannte Ferienzeiten – ich glaube einfach eine bunte Mischung von dem, was auch jetzt als „fertiger“ Lehrer auf uns zukommt.
Natürlich kann man aber auch am Referendariat sicher Dinge verbessern und optimieren. So könnten digitale Elemente fester in der Ausbildung verankert werden, aktuelle Trends mit Blick auf die Bildung in der Zukunft könnten mehr Raum einnehmen und wir Refis könnten vielleicht noch stärker aufgefordert werden, mal ganz ausgefallenen Unterrichtsstunden zu planen und durchzuführen um „Thinking outside the box“ zu fördern. Dazu sollten auch die Erwartungen und Anspruchshaltungen der einzelnen Seminarschulen an die Menge der Seminarberichte und Ausarbeitungen untereinander mal abgeglichen werden. Hier ist die Streuung gefühlt sehr groß, was teilweise bis hin zur Überforderung der Referendare führt. Auch könnten spezifische Stärken oder Ideen der Referendare manchmal mehr Raum bekommen. Ich denke jeder der 27 Referendare hätte gegen Ende problemlos von seinem „One best thing“ in 5 Minuten berichten können, das wäre aus meiner Sicht für die Schulentwicklung ein spannender Impuls.
Ansonsten nehme ich mit, dass die Fachdidaktik an der Uni und die Praxis im Referendariat doch ganz gut zusammenpassen, beide aber vielleicht von einem intensiveren, institutionalisiertem Austausch oder einer echten Zusammenarbeit profitieren könnten.
Und jetzt warte ich mal darauf, wie es weiter geht, denn die Herausforderung irgendwo zwischen Fachdidaktik an der Uni, Schule und Wirtschaft seinen Platz zu finden, ist auch durch das Referendariat nicht kleiner geworden. Jetzt habe ich noch mehr Möglichkeiten – innerhalb und außerhalb von Schule.