Letze Woche fand der Probeunterricht zum Übertritt ans Gymnasium statt. Wer nicht weiß, was das ist, der kommt aller Wahrscheinlichkeit nach nicht aus Bayern und hat daher auch noch nie vom Grundschulabitur gehört. Und dieser Begriff ist kein Witz, sondern bitterer Ernst für die 10- oder 11-jährigen. Daher kurz zur Erklärung: Aufs Gymnasium können nur die, die im Übertrittszeugnis einer staatlich oder staatlich anerkannten Grundschule in Deutsch, Mathe und Heimat- und Sachkunde einen Notenschnitt von 2,33 oder besser haben. Alle anderen, also die mit schlechterem Schnitt oder die von einer „nur“ staatlich genehmigten Grundschule kommen, müssen am sog. Probeunterricht am Gymnasium teilnehmen. Wobei der Begriff „Unterricht“ hier eine völlig falsche Realität suggeriert. Eigentlich müssen die Kinder drei kurze Vormittage lang fast Prüfungen absolvieren.
Ich hatte dieses Jahr zum ersten Mal das Vergnügen an diesem Probeunterricht teilzunehmen bzw. ihn zu gestalten. Passt eigentlich ganz gut, weil ich inzwischen meinen Erfahrungsschatz im Umgang und der Arbeit mit der Unterstufe ausgebaut habe.

Der Ablauf

Dienstag ging es los mit der Begrüßung und einem langsamen Ankommen – schließlich sind alle ziemlich aufgeregt, alles ist neu und unbekannt und irgendwie wissen ja auch alle um die Bedeutung des Probeunterrichts bzw. messen ihm alle selbst eine stark überhöhte Bedeutung zu (das das Gymnasium nicht immer das non plus ultra ist und z.B. für NaWi-Interessierte die FOS13 vielleicht viel sinnvoller ist, führe ich ein anderes mal weiter aus). Nach jeweils 15 Minuten Einführungen müssen die Schülerinnen und Schüler dann verschiedene, zentral erstellte Tests in Deutsch (4 Stück) und in Mathe (2 Stück) bearbeiteten. Diese werden dann jeweils von zwei Lehrkräften nach einem eng vorgegebenen Muster bewertet und nach dem vorgegebenen Schlüssel bewertet. Die Ergebnisse in den Tests haben die doppelte Gewichtung zu der mündlichen Note, die Schülerinnen und Schüler im Rahmen der kurzen Unterrichtssequenzen, die am Freitag stattfanden, erreichen konnten. Hier hat man für Deutsch und Mathe je etwa eine Zeitstunde Raum, um im Rahmen eines kleinen Unterrichtsausschnittes mit viel Unterrichtsgespräch sind einen Eindruck über die Leistungsfähigkeit und die Auffassungsgabe der Schülerinnen und Schüler zu machen. Die Eindrücke von den je zwei verantwortlichen Lehrkräften führen dann zusammen zu einer mündlichen Note. Mit 3 und 4 hat man bestanden, mit 4 und 4 kann man per Elternwille ans Gymnasium und ansonsten ist man durchgefallen und kann in diesem Jahr nicht ans Gymnasium.

Die Aufgaben

Einen Überblick über die Matheaufgaben aus den letzten Jahren findet man auf den Seiten des ISB. Wer reinschaut wird feststellen, dass viele Aufgaben relativ textlastig sind. Das finde ich nicht toll, da ich ja für Mathe eigentlich nicht prüfen will, ob sie Infos aus Texten entnehmen können. Und gerade Schülerinnen und Schüler mit nicht Deutsch als Muttersprache (unter bestimmten Umständen gibt das nen Bonus beim Schnitt) und bei denen zu Hause nicht Deutsch gesprochen wird, haben hier einen echten Nachteil, was die Bildungssegregation weiter wachsen lässt.

Meine Kritik

Zunächst verstehe ich nicht, warum die schriftlichen Prüfungen an einer neuen Schule vor unbekannten Lehrkräften stattfinden müssen. Das könnte aus meiner Sicht genau so an den Grundschulen vor Ort stattfinden – dann wäre der Druck in der Situation vielleicht nicht ganz so groß für die Kinder. Gleichzeitig wäre dann vielleicht mehr Raum für eine längere Unterrichtssequenz, sodass der Begriff „Probeunterricht“ zumindest seinem Namen gerechter werden würde. Aber eigentlich mag ich das ganze Konzept nicht. Das hat aus meiner Sicht nichts mit pädagogisch verantwortungsvollem Handeln zu tun, sondern ist fast ein reines Prüfen der aktuellen, situativen Leistungsfähigkeit. Wie soll ich bitte nach 3 kurzen Tagen, wovon nur 2-3 Zeitstunden Unterrichtsgespräch sind, halbwegs valide abschätzen können, ob jemand fürs Gymnasium geeignet ist oder nicht? Ich tue mich da ehrlich selbst nach 9 Monaten intensivem Matheunterrichts in meiner eigenen Klasse schwer und bin mir immer bewusst, dass sich Leistungen, aus welchen Gründen auch immer, innerhalb von einem Schuljahr stark verändern können – sowohl nach oben als auch nach unten. Natürlich muss der Probeunterricht zwar keine Entscheidung für immer sein, aber ehrlich: Ich glaube die Grundschullehrkräfte, die die Kinder oft vier Jahre lang begleitet haben, können viel besser einschätzen, welche Schulform zum jetzigen Zeitpunkt die richtige für ein Kind ist. Auch finde ich den Druck, dem die Kinder hier ausgesetzt werden, wirklich übertrieben und ich möchte nicht mit ihnen tauschen müssen. Und abschließend: Natürlich hängt ein Erfolg beim Probeunterricht oft auch von dem Bildungsniveau der Eltern ab. Gerade da die Aufgaben der letzten Jahre bekannt sind, sind einige der Kids hiermit besonders trainiert (von den Büchern und Nachhilfeangeboten zu dem Thema ganz zu schweigen), andere eher weniger. Die Einschätzung, ob das Ergebnis dann noch valide was über die individuelle Eignung fürs Gymnasium aussagt, überlasse ich jedem selbst.
Kurz: Ich bin vom Probeunterricht in der jetzigen Form nicht überzeugt und hätte viel mehr Vertrauen in die Einschätzungen der Grundschullehrkräfte. Auch sollten wir den Eltern früher klar machen, dass es viel mehr als einen Weg zum Abitur gibt und den Blick auf das Wohl des Kindes lenken. Auch mal Erfolge zu haben und nicht ständig und überall schlechte Noten zu bekommen ist für viele Kinder oft motivierender und lernförderlicher als x Stunden Nachhilfe. Und Ideen, wie die Durchlässigkeit von Realschule zu Gym besser werden kann, bräuchte es auch. Die existiert nämlich im Laufe der Mittelstufe gefühlt quasi nicht.