Auf dem Onlineauftritt der FAZ ist heute ein Artikel aus der gestrigen F.A.S. veröffentlicht wurden: „Nachhilfe auf Youtube – Stochastik in 5 Minuten“. Und da wir bspw. beim letzten Querdenkertreffen intensiv über das Thema diskutiert haben, muss ich dazu auch ein paar mahnende Worte loswerden.
Vorneweg: Videos sind in ihren verschiedensten Formen interessant, hilfreich und auch lehrreich und stellen an vielen Stellen eine sinnvolle Ergänzung und Erweiterung der Unterrichtsmethodik dar.
Aber sie sind eben auch nur das und man sollte vorsichtig sein mit zu großen Erwartungen – das lehrt ein Blick in die Vergangenheit. Lehr- und Erklärvideos sind schließlich keine neue Erfindung aus dem Youtube-Zeitalter. Böse gesagt sind es auch nur auf modern und peppig gemachte Telekolleg-Videos. Und die haben die Bildungswelt nicht revolutioniert, wie man es zunächst auch dachte. Natürlich gibt es Unterschiede zwischen Telekolleg und YouTube-Videos, alleine schon was Auswahl und Verfügbarkeit angeht, aber aus lerntheoretischer Sicht bleiben die Herausforderungen ähnlich. So gilt es z.B.

    • die fachliche Angemessenheit und Richtigkeit sicherzustellen,
    • den Nutzer mit seinen Interessen anzusprechen und an seinem Vorwissen anzuknüpfen,
    • den Nutzer dazu zu bringen sich aktiv mit den Inhalten auseinanderzusetzen und
    • sicherzustellen, dass die Inhalte vom Nutzer wirklich erlernt wurden und dieser auch langfristig in der Lage ist, dieses flexibel anzuwenden.

Über die fachliche Angemessenheit verliert der FAS-Artikel ja schon ein paar Worte. Man hätte es aber auch deutlich drastischer ausdrücken können: Es gibt, insbesondere in der Physik, nur wenige Videos, die keine (groben) Fehler enthalten. Dies gilt auch insbesondere für die große Plattform TheSimpleClub. Wer ein Beispiel möchte, der schaue sich das Video „Warum bleiben Satelliten am Himmel“ an. Besonderes Problem: der normale Nutzer hat kaum das Wissen und die Kompetenz diese Fehler zu erkennen. Weiter sind auch die Kommentare zwar voller Lob, aber die Fehler werden hier nicht deutlich oder gar fachlich adquat diskutiert. Der Nutzer denkt also er hätte was gelernt (ob er wirklich was gelernt hat thematisiere ich später), hat aber Quatsch gelernt, der ihm in der nächsten Klausur eher schadet als nutzt.
Zum Ansprechen der Nutzer und zum Motivieren sind Videos aus meiner Sicht super. Sie kommen einfach unserem Unterhaltungsbedürfnis nach, zeigen interessante Dinge und die riesige Auswahl an Youtube-Videos sorgt dafür, dass für jeden was dabei ist.
Die aktive Auseinandersetzung und das Lernen der Inhalte fasse ich mal zusammen, da aus lerntheoretischer Sicht die aktive auseinandersetzung und Verarbeitung der Inhalte Grundvoraussetzung für Lernen ist – zumindest im konstruktivistischen Sinne. Und hier liegt der Hund aus meiner Sicht aktuell begraben, denn keines der Videos aktiviert und regt zur weiteren Tätigkeit an – zumindest wenn es über stures Aufgabenrechnen hinaus geht. Der SimpleClub versucht dies inzwischen zumindest mit den begleitenden Aufgaben usw., bleibt aber oft auch auf einer Ebene des Aufgabenrechnens. Problemlösefähigkeiten, experimentelle Kompetenzen und das Bilden fachlicher Argumentationen bleiben dabei nahezu unberücksichtigt.
Trügerisch ist auch das gute Gefühl à la „Ich habe es jetzt gelernt“ oder „Jetzt kann ich das alles“ mit dem die Erklärvideos die Nutzer den Kommentaren nach zurücklassen. Ob man die Inhalte wirklich verstanden hat, merkt man erst, wenn man das Wissen zumindest wiedergeben, besser noch anwenden muss. Und dieser Schritt findet vermutlich häufig nicht statt – zumindest nicht vor der nächsten Klausur.
Kurz: Videos sehen cool aus, sind einfach zugänglich, unterhaltsam und gefühlt sehr gut verständlich. Leider gibt es aus lerntheoretischer Sicht viele weitere Herausforderungen, die ein Video erfüllen muss, um wirklich zum Lernen zu führen.
Das spricht aus meiner Sicht übrigens gar nicht gegen Videos – ich mag sie. Aber wir sollten unsere Erwartungen deutlich zurückschrauben. Wie können wir erwarten, dass wir nach dem Anschauen eines fünfminütigen Videoclips die Physik der beschleunigten Bewegung beherrschen, wenn man im Unterricht darauf mindestens 90 Minuten verwendet?

P.S.: Generell sollten auch erstmal geschaut werden, wie sehr Jugendliche YouTube denn tatsächlich zum Lernen und nicht zur Unterhaltung nutzen. Da wird aus meiner Sicht sehr viel hineininterpretiert ohne gesicherte Daten zu haben. So sind bspw. die Klickzahlen der auf Lernen ausgerichteten Videos von musstewissen Physik nicht gerade riesig – vor allem mit Blick auf die potentielle Nutzerzahl. Das bekommt TheSimpleClub besser hin – der Fokus liegt aber weniger auf Lernen.

P.P.S.: Ich glaube viele Schülerinnen und Schüler wissen auch das Videos nicht unbedingt das beste Lernmittel sein müsssen. Ich habe gerade eine entsprechende Umfrage auf meiner Projektwebseite laufen und auf die Frage „Was hilft dir besonders beim Lernen auf Webseiten?“ wird Videos mit abstand am wenigsten ausgewählt.
Bei 187 Teilnehmern und möglicher Mehrfachauswahl ist der Zwischenstand:

Bilder: 109
Erklärungen: 96
Formeln: 93
Aufgaben mit Lösungen: 80
Zusammenfassungen: 79
Videos: 44