Während in Bayern die Sommerferien vor der Tür stehen und die ersten Bundesländer sich schon dem Ferienende nähern, stellt sich für mich gerade ganz akut die Frage, wie ich denn nach den bayerischen Sommerferien weiterarbeiten möchte. Ganz konkret: Starte ich ins Referendariat oder verfolge ich andere Ziele?
Kurz zur Ausgangslage: Studiert habe ich Gymnasiallehramt mit Physik, Mathe und Erweiterungsfach Germanistik. Nach dem Studium bin ich nicht direkt ins Referendariat, sondern nach München an die Physikdidaktik der LMU. Vor einigen Monaten habe ich meine Dissertation zu einer selbstprogrammierten, internetbasierten Lernumgebung abgeschlossen, darf mich also bald Dr. rer. nat. nennen, und arbeite für LEIFIphysik – das größte deutsche Portal für Schulphysik. Mein aktuelles Projekt zum NaWi-Lernen mit Videos läuft im November aus, sodass jetzt eigentlich der Zeitpunkt ist, an dem ich mit dem Referendariat anfangen sollte. Ich habe mich natürlich auch entsprechend beworben und warte aktuell auf die Zuteilung zu einer Seminarschule.
Und dennoch bin ich gerade unschlüssig, was denn der richtige Schritt ist. Die Gründe dafür sind mehrere, aber trotzdem fange ich mal damit an, was für das Referendariat spricht:

  • Ich arbeite super gerne mit Schülerinnen und Schülern bzw. Studierenden. Die Seminare machen Spaß und auch die Schulpraktika im Studium waren super.
  • Das Referendariat eröffnet einen anderen, neuen Blickwinkel auf Schule, Lehren und Lernen, der sich sicher von dem Blick von der Uni aus unterscheidet und so meinen Horizont erweitert.
  • Es ist der logische Abschluss meiner Ausbildung. Erst mit dem zweiten Staatsexamen ist man quasi offiziell Lehrer.
  • Das Referendariat ist quasi Voraussetzung für eine Verbeamtung und damit eine Dauerstelle – egal ob an der Schule, im Ministerium oder an der Uni (nur als Hinweis: ich bin kein Freund des Beamtentums).
  • Schule und Privatleben/Familie sind ganz gut vereinbar miteinander.

Doch dummerweise fallen mir eben auch einige Argumente ein, die nicht unbedingt für das Referendariat sprechen (ich schreibe bewusst nicht „gegen das Referendariat“, denn das Ref. ist keine schlechte Option, aber es gibt eben auch andere Optionen, die spannend sind bzw. sein können):

  • Man ist unglaublich unflexibel und auf die positive Einstellung anderer angewiesen, wenn man eine Fortbildung geben, an einer Tagung teilnehmen oder sich selbst fortbilden will. Es tut mir jetzt schon etwas weh, spannende Fortbildungsanfragen absagen zu müssen und mich nicht für Tagungen anmelden zu können. Neulich auf der GIREP wurde mir erst wieder bewusst, wie bereichernd ein solcher Austausch über Fächer- und Ländergrenzen hinweg ist. Für Nebenjobs gelten ähnliche Argumente.
  • Das Lernen neuer Elemente beschränkt sich häufig auf informelle Dinge und Aspekte, die rein auf Erfahrung basieren. Echte inhaltliche Fortbildung ist als Lehrer nicht wirklich vorgesehen und im Beruf so nicht implementiert. Irgendwie eine Horrorvorstellung in Zeiten der digitalen Transformation.
  • Finanziell ist das Referendariat nur sehr bedingt attraktiv – insbesondere in München. Eigentlich macht man ja finanziell nie einen großen Rückschritt im Berufsleben – aber jetzt bedeutet es ein Minus von 50% bei konstanter Arbeitszeit. Das ist schon heftig. Ich traue mich fast gar nicht, mich irgendwo in der freien Wirtschaft zu bewerben. Hier sind Gehälter im MINT-Bereich möglicherweise so hoch, auch im Vergleich mit dem Beamtengehalt später, dass man fast gar nicht wiederstehen könnte.
  • Bürokratische Elemente wie Notendokumentation und Konferenzen nehmen viel Zeit ein, sind aber sicher nicht meine Lieblingsbeschäftigung. Ich würde die Zeit lieber nutzen, um Neues zu entwickeln, Dinge zu testen oder Neues zu lernen.
  • Die Wirkung des eigenen Handelns berühren im Referendariat nur noch einen deutlich kleineren Kreis. Ich beeinflusse „lediglich“ das Mathe- und Physiklernen von vielleicht 200 Schülerinnen und Schülern im Schuljahr. An anderen Stellen könnte ich vielleicht mehr Personen erreichen und so mehr bewegen/verändern.
  • Die Einstellung gegenüber neuen Ideen ist in Schule leider oft nicht so positiv, wie sie sein sollte. Klar kann ich gute Argumente liefern – aber die kommen dann eben nur vom Referendar und der hat ja eh keine Ahnung und nichts zu sagen.
  • Ich besitze einiges an digitaler Kompetenz, von Geräteverwaltung via ASM und MDM über Webseitenprogrammierung bis hin zu Feedback-Tools und interaktiven Videos. Aber wenn es doof läuft, bin ich an einer Schule, in der Smartphones zum Lernen nicht gerne gesehen sind und es nur einen Computerraum gibt.

So, dass sind jetzt zwei gegensätzliche Listen und beide mit sehr guten Argumenten drauf. Doch was sind die Optionen? Traumhaft wäre ein Teilzeit-Referendariat, sodass ich halb an der Schule und halb an der Uni oder in Nebenjobs sein könnte. Ich wäre zeitlich flexibler, was Tagungen, Workshops und Fortbildungen angeht, ich könnte weiter viel neues Lernen und viele Leute erreichen und der finanzielle Aspekt wäre nicht ganz so krass. Doch sowas gibt es leider in Bayern und vielen anderen Bundesländern nicht.
Also reduziert es sich wohl auf drei Optionen:

  1. Ich gehe ins Referendariat und nehme 2 Jahre all die negativen Punkte in Kauf mit der Hoffnung, dass es danach besser wird bzw. neue Optionen gibt.
  2. Ich bleibe weiter an der LMU oder einer anderen Uni und suche mir immer wieder neue, befristete Projektstellen (feste Stellen im Mittelbau gibt es quasi nicht). Das bringt eine gewisse Freiheit, aber auch fortlaufende Unsicherheit mit sich, denn irgendwann ist es zu spät, um noch ins Referendariat zu gehen.
  3. Ich schaue intensiv in der Wirtschaft nach Stellen im MINT-Bereich, die etwas mit Digitalisierung und/oder Bildung/Fortbildung zu tun haben. Da gibt es vermutlich auch einige sehr spannende Dinge und ich bringe ein Profil mit, dass sicher nicht sehr weit verbreitet ist.

Eine echte Tendenz habe ich noch zu keiner der drei Optionen. Es werden also in jedem Fall sehr interessante, nachdenkliche und wichtige Sommerwochen für mich. Zunächst schaue ich mal, wo meine Seminarschule liegt…
Aber auf jeden Fall kann ich aktuell gefühlt sehr gut nachvollziehen, warum wir einen Mangel an Physiklehrkräften haben, der sicher auch noch längere Zeit anhalten wird: Man muss schon ein gutes Maß an Idealismus mitbringen, um sich, bei den ganzen anderen Optionen, als Referendar/Lehrer mit Schulbürokratie, veralteter Schulausstattung und Helikoptereltern auseinanderzusetzen.